Christine E. Wiegand am 5.6.2016 gestorben. Ein persönlicher Nachruf


ABSCHIED VON REGISSEURIN CHRISTINE ELISABETH WIEGAND

 

Kameramann Volker Tittel erinnert sich an die Regisseurin Christine E. Wiegand, die am 5. Juni 2016  in Berlin im Alter von nur 50 Jahren an einem Krebsleiden verstorben ist. Über mehrere Jahre verband die beiden eine intensive Zusammenarbeit.Christine Wiegand hinterlässt zwei Kinder (Ethan - 10 Jahre und Eleni – 7 Jahre) und ihren Ehepartner, den Journalisten John Goetz.

 

Liebe Christine,

wir lernten uns kurz nach deinem erfolgreichen Studienabschluss an der DFFB kennen. Du warst eindeutig auf der Erfolgsspur, denn du hattest gerade einen Bundesfilmpreis erhalten - für deinen Kurzfilm „MS Murder". Und du hattest auch schon ein Angebot für eine erste Auftragsarbeit für das Fernsehen auf dem Tisch. Es war vor allem die von dir geschaffene dichte Atmosphäre des Films "MS Murder", die mich besonders beeindruckte. Die Mischung aus visueller Kraft und präziser Erzählung machten dich für mich als Kameramann sofort zu einer interessanten Regisseurin.

 

Unsere erste Zusammenarbeit bestand aus ein paar Folgen für die Sat1-Krimi-Serie "Wolffs Revier". Gemeinsam nahmen wir diesen Auftrag sehr ernst, wir bereiteten uns intensiv vor. Du warst voller Lust auf das, was da kommt, und dazu voller Ambition. In der Gestaltung der Bilder orientierten wir uns an den großen Vorbildern David Lynch und Martin Scorsese. So ähnlich sollte alles aussehen. Natürlich war es nicht leicht, sich mit diesen hohen Qualitätsansprüchen in der Routine einer solchen Serie durchzusetzen. Aber es zeigte sich: Du, Christine, warst eine sehr mutige Frau, die sehr, sehr ausdauernd sein konnte.Dass im Seriengeschäft andere Regeln gelten als auf der Kinoleinwand, wolltest Du nicht sofort akzeptieren. Das war gut so. So entstanden schließlich unter deiner künstlerischen Führung ein paar ungewöhnliche und herausragende TV-Krimis der Sat1-Krimi-Serie „Wolffs Revier“, sowie später der RTL-Serie „Die Cleveren“.

 

Ein Beispiel für deine starke Imagination und deine Beharrlichkeit möchte ich hier kurz erwähnen. Wir hatten laut Drehbuch eine typische Krimisituation ins Bild zu setzen:Das Opfer eines Gewaltverbrechens liegt im Wald, überall Leute der Spurensicherung und rotweißes Absperrband, die Angehörigen des Opfers fassungslos und der Serienkommissar stellt erste Fragen... Du hattest früh beschlossen, die dramatische Gesamtsituation in ihrer Traurigkeit stark zu überzeichnen. Die Waldlichtung wurde deshalb mit Regenmaschinen ausgestattet, es sollte im Film schütten wie aus Kübeln. Um die Unwirtlichkeit der Situation noch intensiver darzustellen, durfte es keine Regenschirme geben. Alle Darsteller sollten klitschnass vor der Kamera spielen. Als Kameramann musste man mich nicht lange überzeugen und auch die Schauspieler ahnten, dass dieser Effekt die Wirkung der Szene außerordentlich verstärken würde. Trotz größter Bedenken der Produktion wegen der Erkältungsgefahr für die Darsteller und des hohen technischen und finanziellen Aufwands – es gab überhaupt kein Wasser im Wald -, hast du deine Idee standhaft verteidigt und durchgesetzt. Die Bilder, die entstanden, gaben dir recht: Sie waren in ihrer Traurigkeit und Intensität kaum zu überbieten.

 

Du und ich, wir lernten uns in der Zusammenarbeit gut kennen. Ich denke, ich kann sagen, wir mochten uns als Menschen und schätzten jeweils das Urteilsvermögen des anderen.

Deine Loyalität zu Deiner "Mannschaft" war, das wusste ich, immer sehr belastbar. Das war etwas ganz besonderes, liebe Christine.

 

Du erhieltest weitere Serienangebote, und wir probierten dabei mit viel Lust immer wieder Neues aus. Dann kam Dein Film „Das Alibi“, ein ernster abendfüllender Film für das Hauptabendprogramm des ZDF. In dem Film ging es um Freundschaft, Verrat und Schuld. Du hast dich damals in deiner Inszenierung diesen Fragen mit großer Intensität und Präzision gestellt. Die einzelnen Szenen waren immer in genau gestaltete Bilder und atmosphärische stimmige Dekors eingebettet. Für die Produktionsfirma war dieser Film nicht immer einfach. Zum Glück hattest Du Rückendeckung von höchster Ebene, sprich dem Produzenten Werner Kliess, der deine außergewöhnlichen Qualitäten erkannte, schätzte und auch schützte.

 

Es folgten weitere anspruchsvolle TV-Aufträge mit zum Teil hervorragenden Schauspielern, wie z.B. "Geheime Geschichten" mit Martina Gedeck.Dann verbrachtest du eine längere Arbeitsphase mit einer deutsch-österreichischen Fernsehserie, die in Wien gedreht wurde. Das war, wie du mir mal anvertraut hast, harte Arbeit, weil Du Dich ohne deine Vertrauten in der Ausstattungsabteilung wie Claus Jürgen Pfeiffer oder Susanne Hopf und auch ohne deinen langjährigen Begleiter an der Kamera ziemlich alleine durchsetzen musstest. Geschont hast du dich dabei nicht.

 

Eine deiner letzten großen Arbeiten war die Co-Autorentätigkeit für den Film:"Snowdens Great Escape", der mit vielen internationalen Nominierungen und Auszeichnungen gewürdigt wurde. Du hast neben deiner intensiven Arbeit für den Film mit Leidenschaft fotografiert und dein Gefühl für Atmosphären auch in deine Fotografie einbringen können. Ausstellungen in Berlin und auf der Ruhrbiennale 2012 zeugten von deinem Talent.

 

Unsere letzte gemeinsame Arbeit liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück. Ein deutsches Fernsehspiel mit dem leicht kitschigen Titel:„Umwege des Herzens“. Eine junge Mutter stirbt auf tragische Weise und lässt einen verzweifelten Ehemann und drei Kinder zurück. Wie fürchterlich eine solche mit leichter Hand dahin geschriebene Geschichte ist, wenn sie in der Realität stattfindet, sehen und fühlen wir in diesen Tagen.

 

Liebe Christine, ich danke dir für alles.Wie gerne hätte ich mit dir noch weitere Filme gedreht!

 

 

München am 19.6.2016, Volker Tittel

 

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